Streik in Sicht? Wissenswertes aus Grund- und Arbeitsrecht
Die Lokführergesellschaft GDL beginnt am heutigen Dienstag die längste Arbeitsniederlegung in der Geschichte der Deutschen Bahn AG. Nach dem Rekordstreik (Nr. 6) der letzten Woche erhöhen die Gewerkschafter erneut den Druck auf den übermächtigen Verhandlungspartner und demonstrieren die Macht der Vereinigung. Auch der Arbeitskampf in den Kindertagesstätten und anderen Einrichtungen der Sozial- und Erziehungsdienste geht in die nächste Woche. Seit dem 04. Mai streiken die Erzieher der kommunalen Arbeitgeber in Deutschland unbefristet. Für berufstätige Eltern der nächste Schock, der einiges an Organisationsaufwand, Flexibilität und Verständnis einfordert. Das Jahr 2015 ist noch jung und bereits vollgefüllt mit rechtmäßigen Arbeitsniederlegungen: Metall- und Elektroindustrie, Piloten, Lokführergewerkschaft GDL, Erzieher, Ärzte und Post- sowie Paketzusteller – bundesweit wurden bereits über 350.000 Ausfalltage gezählt. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt nur 156.000 Streiktage.
Bereits 2014 konzentrierten sich die Arbeitsverweigerungen auf den Dienstleistungssektor. Deutschland liegt im internationalen Vergleich der Ausfalltage auf Platz 10 hinter Frankreich, Dänemark, Kanada, Belgien, Finnland, Spanien, Norwegen, Irland und dem Vereinigten Königreich (WSI 2005 – 2013). Es folgen die USA, Niederlande, Polen, Schweden, Österreich und die Schweiz. In den verschiedenen Ländern hängen die Rechtsgrundlage für Kollektivmaßnahmen von unterschiedlichen, nationalen Grundlagen, Formen und spezifischen Arbeitsbeziehungen ab: Das Streikrecht kann per Verfassung, Gesetz, Rechtsprechung oder Kollektivvereinbarung geregelt sein.
Streiken nach deutschem Recht
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 9 die Betätigungsgarantie im Rahmen der Koalitionsfreiheit. Streiken gehört somit in Deutschland zum Grundrecht, muss jedoch einige Anforderungen erfüllen und rechtmäßig sein.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.[…]
GG Artikel 9
Das Arbeitsrecht definiert verbindliche Bestimmungen, Verordnungen sowie Gesetze für unselbstständige Erwerbstätige. Das Wort Arbeitskampf ist ein Sammelbegriff des kollektiven Arbeitsrechts. Hierbei wird in einer Vereinigung Druck auf die Gegenpartei ausgeübt und der Arbeitsfrieden gestört, um ein bestimmtes, gemeinsames Ziel zu erreichen. Maßnahmen des Arbeitskampfes sind Blockaden sowie Demonstrationen, Arbeitnehmer-Streiks und Aussperrungen durch den Arbeitgeber. Alle Maßnahmen müssen das Übermaßverbot beachten und verhältnismäßig sein: Die Arbeitsniederlegung sollte immer als letztes Mittel eingesetzt werden und setzt intensive, vorherige Verhandlungen und ein ergebnisloses Schlichtungsverfahren voraus. Arbeitskämpfe dürfen nur von den Tarifparteien (Arbeitgeber, Verbände, Gewerkschaften) geführt werden – ansonsten sind sie nicht zulässig. Zusätzlich müsse die Laufzeit des Tarifvertrages abgelaufen sein sowie die Friedenspflicht beachtet werden. Nicht genehmigte Arbeitskämpfe werden als wilde Streiks bezeichnet und können in einer Abmahnung oder fristlosen Kündigung enden. Ebenfalls rechtswidrig sind Streiks aus politischem Anlass oder Solidaraktionen.
Der Arbeitnehmer im Arbeitskampf
Dem Streikbeschluss geht meistens eine Urabstimmung der Mitglieder voraus. Wenn mindestens 75% der Mitglieder für den Streik stimmen, kann der Gewerkschafts-Hauptvorstand einen Antrag bei der Tarifkommission einreichen. Streikberechtigt sind die betroffenen Angestellten mit Tarifvertrag. Dazu gehören ebenfalls leitende Angestellte, Volontäre, Mitglieder des Betriebs- sowie Personalrates in neutraler Funktion und Auszubildende. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik ist keine Verletzung des Arbeitsvertrages: Maßregelungen vonseiten der Geschäftsleitung sind unwirksam. Da der Arbeitsvertrag während der Streiktage ruht, besteht ebenfalls kein Anspruch auf Gehaltszahlung. Gewerkschaftsmitglieder beziehen als Unterstützung aus der Streikkasse ungefähr das 2.5 fache des Monatsgehaltes per Ausfalltag – Warnstreiks sind in der Regel hiervon ausgeschlossen.
Streik-Auswirkungen auf externe Personen
Bei der Arbeitsniederlegung des öffentlichen Dienstes oder Transportwesen schaffen es Pendler selten pünktlich ins Büro. Rechtlich gesehen ein Grund für eine Abmahnung oder Lohnkürzung. Der Arbeitnehmer kann bei einem angekündigten Streik voraussetzten, dass der Arbeitnehmer seinen Anfahrtsweg an die Bedingungen anpasst oder bei Problemen telefonisch schnellstmöglich Bescheid gibt. Kann ein Reisender eine Zug-Verbindung gar nicht nutzen, dann erstattet die Bahn den kompletten Fahrkartenpreis. Erreicht der Kunde sein Ziel 1. Stunde zu spät, bekommt er 25% des Fahrpreises zurück. Ab der zweiten Stunde werden mindestens 50% der Kosten erstattet. Strandet ein Reisender an einem Bahnhof aufgrund des Streiks und kann ihn nicht anders verlassen, so muss die DB AG ebenfalls die Kosten für die Übernachtung übernehmen.
Und wohin mit dem lieben Nachwuchs? Wenn die Kindertagesstätte ihren verdienten Arbeitskampf nachkommt, dürfen die Eltern im Notfall zuhause bleiben. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Angestellten zuvor versucht haben das Kind anderweitig zu versorgen und unverzüglich den Arbeitgeber über die Situation informieren. Eventuell kann das Kind mit in das Büro oder der Angestellte in Heimarbeit tätig werden. In Absprache mit dem Arbeitgeber findet sich meistens eine verhältnismäßige Lösung. Wird der Streik kurzfristig angekündigt, so hat der Angestellte laut BGB § 616 Anspruch auf Lohnfortzahlung an den Fehltagen. Eine festgesetzte Definition für kurzfristig existiert jedoch nicht. Arbeitsrecht, Gesetzestexte und Rechtsprechungen sind für Laien schwer durchschaubar. Welche Ansprüche ein Betroffener im Streikfall gelten machen kann, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.
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